stern-Chefredakteur - Das Jahr, das uns das Fürchten lehrte – Gregor Peter Schmitz blickt auf das Jahr zurück
Wieder geht ein Jahr zu Ende und wieder einmal verspüre ich das Bedürfnis, innezuhalten und tief durchzuatmen. Wieder dachte ich: Was für ein schreckliches Jahr. In den Jahren 2020 und 2021 hat das Coronavirus die Welt in Atem gehalten und mindestens 7 Millionen Menschen getötet. Anfang 2022 veränderte der brutale Angriff Russlands auf die Ukraine auf einen Schlag alles. Wo stehen wir heute? Der Krieg in der Ukraine geht bald in sein drittes Jahr und hat sich zu einem zermürbenden und kostspieligen Stellungskrieg in einem zunehmend erschöpften Land entwickelt, dessen Ende nicht in Sicht ist. Auf der Weltbühne ist die Feindseligkeit zwischen Großmächten so groß wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Hitzewellen, Brände und Rekordniederschläge erinnern uns daran, dass die Klimakatastrophe keine dystopische Zukunftsvision mehr ist, sondern bereits begonnen hat.
Und all dies wurde durch den brutalen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober in unserem Bewusstsein verdrängt – seit 1945 waren an einem einzigen Tag nicht mehr so viele Juden so brutal ermordet worden. Ja, Israel und sein Volk haben seitdem eine enorme Einheit erlebt. Doch weltweit leben Menschen jüdischen Glaubens erneut in tiefer Angst. Antisemitismus, oft getarnt als Kritik an Israel, bricht vielerorts offen aus. Sogar mitten in Deutschland nahmen Juden Türklingeln ab und versteckten Schädelkappen und Davidsterne, weil sie nicht erkannt werden wollten und das Vertrauen verloren hatten, dass das Land sie beschützen könnte. Ich finde das beschämend. Die brutale Reaktion des israelischen Militärs auf das Massaker der Hamas hat den Zivilisten im Gazastreifen unglaubliches Leid zugefügt. Dieses Jahr hat uns wieder das Fürchten gelehrt.
Wir haben unsere Sonderausgabe 2022 mit dem Untertitel „Der Wandel der Zeiten“ versehen – ein Begriff, mit dem Bundeskanzler Olaf Scholz die Dimensionen der Herausforderung definierte und der zum „Wort des Jahres“ wurde. Im Jahr 2023 warf der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius den Deutschen eine weitere Bürde vor die Füße: Das Land und seine Menschen müssten zur „Kampffähigkeit“ gelangen. Im Gespräch mit meinen Kollegen Benedikt Becker und Miriam Holstein blickt Pistorius auf sein erstes Amtsjahr und seine Bemühungen um die Umgestaltung Deutschlands und seine oft belächelten Bemühungen des Militärs zurück, in dieser rauen Welt angemessen defensiv zu sein (S. 20). Andreas Hoidn-Borchers arbeitet an einer weiteren ebenso wichtigen Herausforderung. Er schrieb, dass 2023 „das Jahr sein könnte, in dem einige wichtige Dinge ins Wanken geraten.“ Da das Vertrauen in die Demokratie und das Parteiensystem „rasant zusammenbricht“, liegen die Umfragewerte der AfD bei über 20 %, was eine alarmierende Situation sei. Zeichen des Unbehagens (S. 32).
Auch 2024 wird kein einfaches Jahr
Aber Hoidn-Borchers fragte auch: „Erfrieren im Winter Tausende Menschen in eiskalten Wohnungen? Müssen BASF und Bayer die Produktion einstellen? Stehen viele zerlumpte, abgemagerte Menschen bettelnd auf der Straße.“ ?“ Die Antwort ist natürlich dreifach nein. Auch das dürfen wir am Ende des Jahres nicht vergessen: Vieles läuft gut, die oft kritisierte Politik löst manche Aufgaben besser und effizienter als erwartet, wir gehen leichter in den Winter als vor einem Jahr, die Inflation sinkt, und die Wirtschaft erholt sich. Erholungsschub. Auch wenn wir sehr frustriert sind, sollte uns das Zuversicht geben. Wir werden sie nutzen können. Machen wir uns nichts vor: Auch 2024 wird kein einfaches Jahr. Gemeinsam sollten wir Mut und Entschlossenheit haben.
Wenn Sie jetzt mit dieser Frage auf das Jahr 2023 zurückblicken, werden Sie feststellen, dass es auch glückliche Momente und Menschen gibt, die uns Hoffnung geben. Ich wünsche Ihnen ein friedliches Jahr voller Zuversicht, Mut und immer dem Gefühl, die schönsten Momente im Leben zu erleben.
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Quelle: www.stern.de