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Eine Kanzlerin zweimal gefragt: Die Vertrauensfrage und ihre Folgen

Oppositionsführer Friedrich Merz forderte Bundeskanzler Olaf Scholz auf, den Bundestag um eine Vertrauensfrage zu bitten. Aber was ist das eigentlich? Wie oft wurde diese Frage in der Geschichte der Bundesrepublik gestellt?

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Die Bitte um eine Vertrauensfrage im Bundestag wird der Opposition kaum Vorteile bringen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).aussiedlerbote.de

Ein Weg zu Neuwahlen - Eine Kanzlerin zweimal gefragt: Die Vertrauensfrage und ihre Folgen

Vier Wochen nach einem historischen Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich die Ampelregierung darauf geeinigt, wie ein milliardenschweres Loch im Bundeshaushalt 2024 geschlossen werden kann. Geplante Einsparungen und Kürzungen werden sich auch auf die Strom-, Gas- und Benzinpreise für Verbraucher auswirken. Die Schuldenbremse wird nächstes Jahr nicht außer Kraft gesetzt, aber die Hintertür bleibt offen.

Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) beklagte, die Ampel habe nur eine „Kompromissformel“ gefunden und warf der Kanzlerin „finanziellen Betrug“ vor. Er forderte Scholz auf, im Parlament eine Vertrauensfrage zu stellen, allerdings wegen eines anderen Problems: Fast zeitgleich mit der Einigung über die Haushaltskrise wurde bekannt, dass ein Maßnahmenpaket zur Einwanderungspolitik nicht mehr verabschiedet werden könne . Dieses Jahr verging ohne Einigung in der Ampelfrage.

Was ist ein Vertrauensproblem?

Während der Bundestag den Ministerpräsidenten ohne Misstrauensvotum abwählen kann, knüpfte der Ministerpräsident das Vertrauensvotum an eine Abstimmung über umstrittene Gesetze in der Regierungskoalition. Olaf Scholz (SPD) wird daher „seine“ Abgeordneten vor die Wahl stellen, entweder dem Gesetz (im aktuellen Fall dem Haushalt) zuzustimmen oder ihm das Vertrauen zu entziehen. Erhält der Kanzler keine Mehrheit, muss das Parlament seinen Nachfolger wählen, andernfalls löst der Bundespräsident den Bundestag auf und es kommt zu Neuwahlen. Genau das strebt Oppositionsführer Merz an. Angesichts der derzeit schlechten Umfrageergebnisse dürfte jedoch keine Ampelpartei daran interessiert sein, in absehbarer Zeit Neuwahlen abzuhalten. In dieser Hinsicht dürfte Scholz kein unnötiges Vertrauensvotum riskieren.

Welche Premierminister haben eine Vertrauensabstimmung gefordert?

1972: Willy Brandt

Aufgrund der umstrittenen Ostpolitik von Bundeskanzler Brandt (SPD) sind viele Mitglieder der regierenden Sozialdemokratischen Partei und Freien Demokratischen Partei zur CDU/CSU übergelaufen, sodass die Opposition ebenso groß ist wie die Regierung Fraktion. Dies ermöglicht der Opposition, alle Gesetze zu blockieren. Am 22. September 1972 stellte Brandt schließlich einen Vertrauensantrag, der jedoch scheiterte: Nur 233 Abgeordnete sprachen ihm ihr Vertrauen aus und 248 stimmten dagegen. Das Ergebnis entsprach jedoch genau dem, was Brandt wollte: Er wollte die Pattsituation zwischen Regierungskoalition und Opposition durch Neuwahlen lösen.

1982: Helmut Schmidt

Anders als Brandt hofft Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) trotz des Scheiterns des Regierungsbündnisses zwischen SPD und FDP weiterhin auf eine Regierungsmehrheit. Eine besonders schwere Belastung für das Bündnis stellten die Doppelbeschlüsse der NATO dar: In den 1970er Jahren begann die Sowjetunion mit der Modernisierung ihrer auf Westeuropa gerichteten nuklearen Mittelstreckenraketen. Nach Ansicht von Schmidt gefährdet das neue SS20 das strategische Gleichgewicht Europas. Der Doppelbeschluss der NATO sah letztlich vor, dass die Sowjetunion zunächst über die Demontage der SS-20 verhandeln sollte. Sollten die Verhandlungen innerhalb von vier Jahren nicht gelingen, wollen die USA auch in Westeuropa, insbesondere in der Bundesrepublik, nukleare Mittelstreckenraketen stationieren. Die Sowjetunion betrachtete dies als Ultimatum und lehnte alle Verhandlungen ab.

Doch Schmidts wirtschaftspolitischer Ansatz als Reaktion auf die Wirtschaftskrise und die steigende Arbeitslosigkeit hat auch zwischen SPD und FDP für Kontroversen gesorgt. Schmidt selbst beantragte schließlich eine Vertrauensfrage, über die der Bundestag am 5. Februar 1982 stimmte: Von 493 Stimmen erhielt er 269, 226 Abgeordnete stimmten dagegen. Trotz dieses Sieges hielt Schmidts Regierung nur wenige Monate durch, bevor sie im September 1982 zusammenbrach.

1982: Helmut Kohl

Am 1. Oktober 1982 stellte Bundeskanzler Helmut Kohl die „Vertrauensfrage“, als sein Vorgänger Helmut Schmidt am 13. Dezember 1982 selbst die Frage stellte und ihn mit einem konstruktiven Misstrauensvotum stürzte. Sein Ziel ist das gleiche wie Brandt: Neuwahlen. Denn Meinungsumfragen deuten auf einen klaren Sieg von CDU und FDP hin. Ob Kohls neuer Wahlweg verfassungsgemäß ist, wird letztlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen. Am Ende hatte Kohl einen durchschlagenden Erfolg: Die BVG stimmte schließlich seinem Vertrauensvotum an die CDU für Neuwahlen zu, wofür er mit 48,8 % das zweitbeste Ergebnis seit 1957 erzielte.

2001: Gerhard Schröder

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der drei Jahre lang die rot-grüne Koalition geführt hatte, schaffte ein Novum, als er am 16. November 2001 die Vertrauensfrage im Bundestag aufwarf: Erstmals stellte ein deutscher Bundeskanzler die Vertrauensfrage in den Mittelpunkt auf eine ganz konkrete Sachfrage. Die Bundesregierung will im Rahmen der von den USA geführten Anti-Terror-Operation Enduring Freedom deutsche Soldaten nach Afghanistan schicken. Schröder selbst und Oppositionsführer aus CDU und FDP unterstützten den Einsatz, doch seine Koalition stieß auf Widerstand. Kurz vor der Abstimmung sah es knapp aus, und schließlich stimmten von 662 Abgeordneten 336 mit „Ja“ (zwei Stimmen mehr als die erforderliche absolute Mehrheit) und 326 mit „Nein“.

2005: Gerhard Schröder

Wie Willy Brandt und Helmut Kohl vor ihm wollte Schröder 2005 eine Vertrauensfrage fordern, damit Neuwahlen stattfinden konnten. Die Kontroverse um Hearts IV hat sein rot-grünes Bündnis zerbrochen. Schröders Ankündigung eines Vertrauensvotums löste Empörung und Verfassungsdebatten aus. Bei der Abstimmung am 1. Juli 2005 stimmten von den 595 an der Abstimmung beteiligten Abgeordneten 151 mit „Ja“ und 296 mit „Nein“. 148 Personen enthielten sich der Stimme. Dies ebnet den Weg für Neuwahlen. Am 18. September 2005 stimmten die Deutschen über einen neuen Bundestag ab und wählten Angela Merkel anstelle von Schröder zur Kanzlerin.

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Quelle: www.stern.de

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