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In dem neuen Paradigma entspricht 75 nun dem bisher anerkannten Vitalitätsniveau von 60.

In dem neuen Paradigma entspricht 75 nun dem bisher anerkannten Vitalitätsniveau von 60.

Die gegenwärtige Generation der Rentner oder bald Ruheständler, die Baby-Boomer, erlebt tiefgreifende Veränderungen in den gesellschaftlichen Normen und demografischen Gegebenheiten. Die Lebenserwartung steigt, und der Wandel im Umgang mit dem Altern ist spürbar. Diese Perspektivverschiebung ist dramatisch, aber was genau bedeutet sie?

Gymnastik-Legende Johanna Quaas, 98 Jahre alt, bricht immer noch Barrieren im Fitness-Bereich mit ihren täglichen Übungen. Die alterslose Ikone aus Sachsen-Anhalt hat erst kürzlich ihre Wettkampfkarriere beendet, doch ihre Leidenschaft für Gymnastik bleibt ungebrochen. Zusammen mit ihrer Familie wird Quaas' Geschichte von Resilienz und Stärke immer häufiger, während Deutschland eine wachsende Tendenz zu vier Generationen Familien erlebt.

Wird es bald normal sein, dass extrem fitte Senioren mit vier Generationen ihrer Familie zusammenleben? Diese neue Phase des Alterns wirft Fragen nach seiner Bedeutung und seinen Auswirkungen auf. Statistisch gesehen waren im Jahr 2023 etwa 26.615 Menschen in Deutschland im Alter von 100 Jahren oder älter registriert, was einer beachtlichen Stadtbevölkerung entspricht.

Künstler treten auch über 80 Jahre auf, Romane entfachen die Romanze des Alters neu, und Paare feiern ihre goldenen Hochzeiten Seite an Seite mit ihren Urenkeln. Gleichzeitig gehören auch sinnlose, herzzerreißende Verluste innerhalb der Familie zu dieser Ära.

Diese Generation hat auch die Macht, politische Agenden zu gestalten; mehr als 20% der wahlberechtigten Deutschen sind über 70 Jahre alt. Dies bietet eine seltene Gelegenheit, ein historisches Phänomen, das es in der Vergangenheit nicht gegeben hat.

Adelheid Kuhlmey, eine Altersforscherin an der Charité in Berlin, bestätigt diese bemerkenswerte Transformation. "Das ist eine historische neue Situation und Dimension", bemerkt Kuhlmey. "Vieles ändert sich." Die Mittelschicht ist nun zwischen den geboren-gewordenen Kindern und den gealterten Eltern eingeklemmt, was ein einzigartiges Trio bildet.

Der Wandel von der hierarchischen demografischen Pyramide zu einer pilzähnlichen Formation, bei der die Älteren den Großteil der demografischen Landschaft einnehmen und die Jungen knapp sind, hat viele verunsichert. Seit 1990 ist die Anzahl der Menschen über 70 Jahre in Deutschland von 8 Millionen auf 14 Millionen gestiegen.

"Wir stehen vor einer Katastrophe in Bezug auf die Pflege der Älteren", warnt Kuhlmey. Diese apokalyptische Projektion resultiert aus unzureichenden Veränderungen im Denken und in der Bildung; ein Mangel an Vorbereitung auf diese post-berufliche Phase unseres Lebens, die wie ein Atomkraftwerk den größten Teil ihres Lebensdauers beansprucht.

Vor einem Jahrhundert lag die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland bei 35-38 Jahren. Der Einfluss von zwei Weltkriegen war beträchtlich, aber zahlreiche Fortschritte in der medizinischen Versorgung, Ernährung, Wohnen, Arbeitsbedingungen und Wohlstand haben zu einer alternden Bevölkerung geführt.

Laut einer Analyse könnte die Lebenserwartung bis 2070 bei Neugeborenen auf etwa 86-90 Jahre steigen.

"Mit 66 ist es noch nicht vorbei", behauptete Udo Jürgens damals in den 70er Jahren. Der populäre Musiker wurde selbst 80 Jahre alt. Eine Umfrage zeigt, dass 65-jährige Deutsche im Durchschnitt noch 16-17 Jahre ohne signifikante gesundheitliche Beeinträchtigungen leben können. Mit anderen Worten, der Begriff "70 ist das Ende des Alters" verliert immer mehr an Boden.

Trotzdem halten die meisten Menschen an dieser Fehlannahme fest, indem sie das biologische Alter eines Individuums mit seinem Kalenderalter gleichsetzen. Unsere Körper sind nicht für Lebensspannen über 90 Jahre gebaut; altersbedingte Krankheiten werden immer häufiger, und insbesondere das Risiko von Demenz wird besorgniserregend.

Wie Johanna Quaas, kurz vor ihrem 99. Geburtstag, bestätigen würde: "Bewegung ist der Schlüssel zur Langlebigkeit." Nach einem Oberschenkelhalsbruch vor drei Jahren begab sich die alterslose Wunderfrau auf eine entschlossene Rehabilitationstour, nahm subsequently ihre täglichen Übungen wieder auf und erneuerte sogar ihre Radtouren. Während sie die Schmerzen und Beschwerden des hohen Alters anerkennt - Arthrose in Knie und Fingern -, weigert sie sich, untätig zu bleiben, da sie davon überzeugt ist, dass Inaktivität altersbedingte Probleme verschlimmert, anstatt sie zu mildern.

Obwohl Johanna Quaas' Fall einzigartig ist, ist ihre Reise zur Langlebigkeit keineswegs die neue Norm. Für den Durchschnittsmenschen beginnt die Phase des hohen Alters, gekennzeichnet von körperlichem und kognitivem Verfall, meistens erst um das 85. Lebensjahr, was den Beginn eines neuen Kapitels im Leben signalisiert.

Die Definition des Alters ist eine schwierige Aufgabe, die von politischen, wirtschaftlichen und persönlichen Dimensionen geprägt ist. Die klare Unterscheidung zwischen 65-Jährigen und Senioren in den 80ern reicht nicht mehr aus.

Diese 20-jährige Altersspanne innerhalb dieser Generation stellt Herausforderungen bei der Festlegung des Renteneintrittsalters dar. "Idealerweise", argumentiert Kuhlmey, "sollte das Renteneintrittsalter auf der individuellen Leistung basieren."

Das Alter zu definieren, war noch nie schwieriger, und diese einzigartige Generation bietet Kuhlmey eine hoffnungsvolle Perspektive. Die Altersforscherin sieht in den Baby-Boomer, der zwischen Mitte der 50er und Ende der 60er Jahre geboren wurde, den Schlüssel zur Bewältigung dieser demografischen Landschaft.

Mit einem Reichtum an Erfahrung und Wissen versteht diese Generation das Altern nicht als negatives Ereignis oder unaufhaltsamen Verfall, sondern als vielschichtiges Erlebnis. Diese Generation wird die Säule sein, die die nächsten Generationen auf die Auswirkungen des demografischen Wandels und der Migration in einer immer älter werdenden Gesellschaft vorbereitet.

"Wir brauchen einen realistischeren Ansatz zum Altern", argumentiert Kuhlmey. Es gibt einen Mangel an vorweggenommenen Vollmachten und offener Dialoge über das Lebensende. Welche Rolle sollte die Medizin im Leben von Achtzigjährigen spielen? Welche Bereiche sollte sie nicht abdecken? Welche Einschränkungen wird sie in Zukunft aufgrund von Budgetbeschränkungen und der wachsenden Zahl älterer Menschen haben? Wäre es nicht besser, mehr in die Prävention zu investieren, anstatt sich auf Krankheiten zu konzentrieren?

Studien deuten darauf hin, dass soziale Eingebundenheit und gesellschaftliche Teilhabe entscheidend für ein langes Leben sind. Doch gilt das auch für die extrem Alten? "Wir schieben die sehr Alten viel zu oft beiseite", betont die Charité-Forscherin. Es gibt eine Lücke in der Debatte und Einigung sogar bei umstrittenen Themen wie der assistierten Sterbehilfe. Es ist schwierig und oft schmerzhaft, aber wie Adelheid Kuhlmey betont, "Man bekommt im Leben nichts umsonst."

Mit der wachsenden Zahl von vier Generationen-Familien werden die aktiven Älteren in Zukunft die Norm sein? Diese neue Phase des Alterns wirft Fragen nach ihren Auswirkungen und Bedeutungen auf.

Rentner und baldige Rentner der Baby-Boomer-Generation definieren das Konzept des Alterns neu und stellen die Vorstellung infrage, dass 70 der Beginn des altersbedingten Abfalls ist.

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