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Tschüss, Kartoffeln? Das Ende der sättigenden Beilage in Deutschland

In trendigen Restaurants kosten die "Beilagen" heute oft extra. Die klassische deutsche Beilage scheint im Aussterben begriffen zu sein. Wie kann das sein?

Drei "Komponenten" auf einem Teller, so war es bisher. Müssen wir uns bald von der sättigenden...
Drei "Komponenten" auf einem Teller, so war es bisher. Müssen wir uns bald von der sättigenden Beilage verabschieden?

Esskultur - Tschüss, Kartoffeln? Das Ende der sättigenden Beilage in Deutschland

Es gab mal in Deutschland: Schnitzel, Spargel, Bratkartoffeln. Oder: Kasseler, Grünkohl, Salzkartoffeln. Das bedeutet: Unter einer regulären, typisch deutschen warmen Mahl, fand man üblicherweise ein dreiteiliges Gericht vor. Das heißt: Fleisch/Fisch, Gemüsebeilage, (kartoffelbasierte) Füllbeilage. Ist die letzte eine aus? Sagt das Lebewohl? Tschüss, Beilage?

Allerdings hat sich die Esskultur und Essgewohnheit in der zunehmend teuren Gastronomie mehrfach verändert. Eine jüngste repräsentative Civey-Umfrage offenbare, dass etwa die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland seltener essen geht – "seit der Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 19 Prozent auf 7 Prozent im Gastgewerbe." Und jene, die das Menü in modegemäßen Orten im Jahr 2024 lesen werden, werden oft feststellen, dass es normal wird, dass jede Beilage zusätzlich bezahlt wird – oft unter dem Titel "Sides," unter dem dann oft Gerichte wie Fritzen oder Kartoffelpüree (oder Gemüse wie grilliertes Grünes Spargel). Was geschieht kulturell, wenn die früher selbstverständliche Beilage nur eine Option und nicht mehr ein "muss" ist?

Ganz und gar nicht, dass Millionen von Menschen Gerichte wie Roulade mit Rotkraut essen. Viele Kantinen, Messehallen und Krankenhäuser nutzen noch Porzellan getrennte Teller in drei Teile. Aber jüngere Menschen haben lange andere Vorlieben. In der modernen Ernährungsleben ist es beliebt, alleinstehende Gerichte aus tiefen Teller statt flachen Teller zu essen. Denken Sie an Trends wie Bowls, arabische Küche, asiatische Essen. Und Pizza, Pasta, Burger, Döner sind schon anders als Würst mit Sauerkraut.

"Die etablierte dreiteilige Mahlzeit in Deutschland wird jetzt von vielen als veraltet und paternalistisch empfunden," sagt der Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg. "Festgelegte dreigängige Mahlzeiten sind etwa so veraltet wie die kriseverwirrten Warenhäuser wie Karstadt." Leute wollen heute eine große Auswahl und Erfahrung haben. Und genauso wie sie enttäuscht werden, wenn im Laden nur zwei Regale mit Jeans statt vielen Dutzenden von Modellen stehen, so kann Enttäuschung ausbreiten, wenn das Menü zu starre ist.

"Die junge Generation findet es oft seltsam, dass jeder an Tisch dasselbe essen muss. Essen hat sich zur Ausdrucksform der persönlichen Identität gewandelt. Wir leben in pseudo-individualisierten Ernährungsstilen," sagt Hirschfelder. "Meistens handelt es sich um eine falsche Wahl. Am Ende ist es ganz und gar unerheblich, ob ich Reis oder Nudeln nehme." An den 80er Jahren hätte eine Debatte über Beilagenvorlieben als bürgerlich und snobisch empfunden worden, sagt der Buchautor ("European Eating Culture: A History of Nutrition from the Stone Age to the Present Day").

"Wenn man in den 80er Jahren in eine mittelschichtige Stätte oder bei den Griechen gegangen wäre, hat man nicht immer gesagt, was man nehmen oder hinzufügen oder was man nicht vertragen konnte. Und es gab noch den sozialen Trend, die Kinder und jungen Leute 'Du isst, was auf dem Tisch liegt'. Gehen Sie essen zu Hause war schon ein wunderschönes Ding zu tun, und Kinder hatten Schnitzel mit Pommes mitnehmen – und das war gut. Das würde heute als total aufdringlich empfunden."

"Pommes als Trostbeilage waren symbolisch geladen," erklärt Hirschfelder, um auf Deutschland's frühere Küchenkultur hinzuweisen. "Nach dem entehrenden Krieg gab es eine 'gleichgesetzte mittlere Gesellschaft', wie der Soziologe Helmut Schelsky einmal beschrieben hat. Sozial, saßen wir in derselben Boote, symbolisch auch am Tisch, hielten wir eine Ernährung innerhalb wirtschaftlicher Möglichkeiten und ließen uns nicht durch extravagante Geschmackspräferenzen ausmachen. Und Pommes als Trostbeilage waren symbolisch belastet." Materialverbrauchsgüter waren wichtiger als was auf dem Tisch stand, aber Reisen und Wohnraum waren auch bedeutsam. Das hat sich nach dem Ende der DDR und dem alten FRG nur verändert, so erklärt Hirschfelder.

In den letzten rund 30 Jahren sind neue Weltanschauungen in der wohlhabenden Gesellschaft nach dem Kalten Krieg aufgekammt - oft entlang der Narrative "Ich bin, was ich esse". "In einer globalisierten Welt ist Ernährung eine Komplexitätsreduktion, sodass viele wichtig finden. "Aufgeklärt wird derzeit eine Rückkehr politischer Ideologien beobachtet, aber die Überwertung von Essen im Alltag besteht weiter, erklärt der Kulturwissenschaftler. Es ist noch wichtig, was man isst und was man nicht isst, z.B. vegane Lebensstile, low carb, oder so exotisch wie möglich Essen. "Der Slogan scheint zu sein: Wenn ich die Welt nicht ändern kann, so kann ich mindestens was auf meinem Teller ändern."

Einst waren Schnitzel und Pommes Stapelfoods in der dreiteiligen deutschen Mahlzeit, symbolisierend eine gleichgesetzte mittlere Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit der Aufrüstung der Individualismus und der Wohlstand, nehmen Menschen ihre Diät als Spiegel ihrer Identität wahr, was zu verschiedenen Ess-Trends und dem Auftauchen von Gerichten wie Schnitzel mit Pommes als Einlagen fühlt sich als Einlegung an.

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