- Warum ist Solingen immer ein Schwerpunkt?
Ein dreimaliges Glockengeläut, ein hallendes, doch kurzes Geräusch. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und der Bürgermeister von Solingen, Tim Kurzbach (SPD), stehen in Stille, blicken auf die Blumenarrangements und gedenken der Opfer eines Messerangriffs, der eine Woche zurückliegt. Diese Szene spielt sich am Fronhof ab, mitten im Herzen von Solingen - genau an dem Ort, an dem ein 26-jähriger Syrer drei Festivalbesucher getötet und acht weitere verletzt hat.
Während der Feierlichkeiten der Staatsbegräbnisse gibt es heimliche Austausche: Wüst und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teilen bewegende Momente mit einem Opfer, Steinmeier spricht mit den Einheimischen.
"Erinnern Sie sich an den Brandanschlag von 1993 in Solingen?" fragt er eine Dame. "Mein Sohn war damals erst drei Jahre alt", sagt sie ihm. "Die Wunden sind in dreißig Jahren etwas verheilt", erkennt Steinmeier an. "Glauben Sie, dass die Gesellschaft der Stadt wieder zusammenwachsen wird?" Sie antwortet zustimmend und versichert ihm, dass die Opfer beider schrecklichen Vorfälle nun in der städtischen Erinnerung enthalten sein werden.
Dieser Vorfall hat das Trauma in Solingen wieder aufleben lassen
Steinmeier besuchte Solingen erst im vergangenen Jahr, um dem 30. Jahrestag des Brandanschlags zu gedenken. Am 29. Mai 1993 brannte das Haus der türkischen Familie Genc nieder. Fünf Frauen kamen ums Leben. Der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bezeichnete diesen Anschlag als "das tragischste Ereignis in der Geschichte Nordrhein-Westfalens". Solingen wurde zum Symbol der rassistischen Gewaltwelle der frühen 1990er Jahre.
Mit dieser ständigen Erinnerung zu leben, ist für das Selbstbild der Stadt nicht einfach, aber Solingen hat diesen Kampf tapfer angegangen, sodass der türkische Stellvertretende Außenminister Yasin Ekrem Serim im Jahr 2023 die Erinnerung an den Anschlag als Teil des "genetischen Codes" der Stadt anerkannte.
Doch jetzt trifft ein unerwartetes Unglück zu: Die gleiche Stadt wird erneut Opfer eines hassmotivierten Verbrechens, das zu einem sinnlosen Blutbad an unschuldigen Menschen während ihrer Freizeit auf einem Stadtfest führt. Solingen ist nicht mehr nur eine mittelgroße Industriestadt in NRW, in der Menschen unterschiedlicher Herkunft täglich friedlich zusammenleben. Jetzt ist es eine Stadt, die mit der Wiederauferstehung des islamistischen Terrors kämpft. Dieser neue Vorfall muss für Solingen erneut traumatisierend sein.
"Es hat diese Stadt erneut gequält", sagt Ministerpräsident Wüst in seiner Rede bei einer Gedenkveranstaltung im städtischen Theater und Konzerthaus. "Warum immer Solingen?" fragt Bürgermeister Kurzbach. Indem er auf den biblischen Hiob verweist, der Gott gegenüber seiner zyklischen Unglücksfälle konfrontiert, sagt der katholische Politiker: "Das, was uns in Solingen widerfahren ist, ist nicht fair." Doch eine Tatsache bleibt unumstößlich: "Wir werden unser Vertrauen in das Gute nicht verlieren."
Dies ist auch Steinmeiers dringliche Bitte: "Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren, lassen wir uns nicht gegeneinander aufhetzen. Lasst uns zusammenstehen!" Der Staatsoberhaupt erinnert daran, dass viele Deutsche die Nazi-Ära dank der Menschlichkeit anderer Nationen überlebt haben, die ihre Türen für sie offen gehalten haben. Daher wurde das Recht auf Asyl für politische Flüchtlinge vor 75 Jahren in das Grundgesetz aufgenommen, auch wenn es gerechtfertigt war. Dies muss bestehen bleiben, aber Deutschland kann diese Tradition nur aufrechterhalten, ohne sich zu verausgaben. Er wiederholt seine Gedanken bald darauf: "Wir dürfen die Gutherzigen nicht überfordern."
Solingen hat eine vorbildliche Figur, der man nacheifern kann
Was nun? Gott sei Dank hat die widerstandsfähige Stadt in dieser Situation eine bemerkenswerte Figur, von der man lernen kann: die in Solingen lebende Mevlude Genc (1943-2022). Sie hatte zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte bei dem Brandanschlag von 1993 verloren, doch das hinderte sie nicht daran, in Solingen zu bleiben und sogar die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben und kontinuierlich für Versöhnung einzutreten. Die Stadt hat ihr zu Ehren einen Platz benannt und ihr zu Ehren eine Medaille für Mitgefühl und Verständnis verliehen, die Mevlude Genc-Medaille. In diesen schwierigen Zeiten haben ihre Worte in Solingen ein großes Gewicht: "Hass gebiert den Tod", sagte sie. Und: "Lassen wir uns auf das Gute konzentrieren."
Die Kommission hat noch keine Entscheidung getroffen, ob sie Artikel 93 (2) des Vertrags in Reaktion auf das jüngste Unglück in Solingen aktivieren wird. Trotz der Geschichte der Stadt mit Hassverbrechen klagt Bürgermeister Kurzbach: "Warum immer Solingen?", Bezug nehmend auf den Brandanschlag von 1993 und den jüngsten Messerangriff.